Bank Insolvenz und ihre Folgen

16 lange Tage Count-down

Am 26. Juni 1974 schloss die Bank für viele vollkommen überraschend ihre Tore. Was wirklich passiert war und nun folgt, schildert Iwan D. Herstatt ausführlich in seinem Buch „Die Vernichtung“, worauf sich auch die folgenden Aussagen stützen. Sein Sohn Johann David Herstatt (1952) lebte nach der Pleite 16 Jahre mit seinem Vater teils aus finanziellen Gründen unter einem Dach. Da das Bankthema und all die damit neu hinzukommenden Informationen täglich intensiv zwischen Vater und Sohn diskutiert wurden, die Sichtweise des Vaters nie zu Widersprüchen führte, erscheint die Geschichte äußerst glaubhaft. Das Buch ist auf dieser Webseite kostenlos als Download erhältlich.

Am 10. Juni 1974 wurde Iwan Herstatt von dem Generalbevollmächtigten Bernhard Graf von der Goltz aus einer Aufsichtsratssitzung bei Henkell in Wiesbaden telefonisch herausgebeten und dieser teilte ihm mit, dass hohe Verluste statt der in den Büchern stehenden Gewinne entstanden seien. Iwan D. Herstatt fuhr darauf direkt zurück nach Köln. Bei Folgegesprächen beichtete der Chef der Devisenabteilung Dany Dattel, dass der Verlust bei 64 Millionen DM läge und dass dies durch nicht verbuchte Devisengeschäfte möglich geworden war. Am nächsten Tag informierte Iwan D. Herstatt den Hauptaktionär Hans Gerling, bekam für den Betrag Deckungszusage und den Auftrag, im Tagesgeschäft zu bleiben und jegliche Gerüchte zu verhindern. In den Folgetagen kam heraus, dass der Verlust sogar bei etwa DM 470 Millionen läge. Herr Gerling versuchte das erforderliche Geld gegen Bürgschaft des Gerling Konzern zu beschaffen. Warum er hierbei ausgerechnet die drei Großbanken und schärfsten Konkurrenten der Herstatt-Bank mit ins Boot nahm, hatte Iwan Herstatt nie verstanden. Herr Poullain von der Westdeutschen Landesbank hätte sicherlich geholfen.  Die Verhandlungen scheiterten, so dass der Bank am 26. Juni 1974 die Banklizenz entzogen wurde und sie den Betrieb einstellte.

Vergleich statt Konkurs

Iwan D. Herstatt war am Boden zerstört. Er dachte in dieser Phase nur an Selbstmord. Dann wurde ihm bewusst, dass die Sparer völlig allein gelassen wurden, und er tat alles, damit ein Vergleich zustande kam. Hierfür stellte er sein gesamtes Vermögen zur Verfügung.  Eine Gruppe von Gläubigern stimmte für Konkurs, da sie sich erhoffte, über eine sogenannte Durchgriffshaftung an das gesamte Gerling Vermögen zu gelangen, was mit der dominanten Rolle des Hauptaktionärs begründet war. Letztendlich kam der Vergleich zustande, weil Hauptaktionär Hans Gerling sich von einem Großteil der Anteile seines Versicherungskonzerns trennte und so eine annehmbare Quote an die Gläubiger ausgeschüttet werden konnte. (100% für Kunden mit Einlagen bis 20.000 DM, Großkunden 65%, Kommunen 55% und Banken zwischen 45%-55%). Hans Gerling war weitsichtig und handelte den Punkt heraus, dass er bei jeder zusätzlichen Ausschüttung an die Gläubiger die Hälfte der jeweiligen Besserungsquote zurückerhalte. Hierdurch war Hans Gerling später in der Lage, die 51% seines Konzerns von den Großbanken wieder zurückzukaufen. Die Abwicklung der Bank dauerte bis in die 90er Jahre hinein, verschlang Unsummen und trotz allem erhielten die Gläubiger all ihr Geld oder zumindest um die 80% wieder zurück, sicherlich ein Indiz dafür, wie solide die Bank abgesehen vom Devisenhandel war. Letztlich waren Iwan D. Herstatt und seine Familie die einzigen, die nicht von dem Geldfluss profitierten.

Ermittlungen der Staatsanwaltschaft

Nach Zustandekommen des Vergleichs brachte Iwan D. Herstatt all seine Energie auf, um dem Staatsanwalt zu helfen, die echten Schuldigen zur Strecke zu bringen. Die Ergebnisse langjähriger Analysen der Staatsanwaltschaft öffneten Iwan D. Herstatt die Augen, was wirklich in seinem Bankhaus geschehen war. Laut Iwan Herstatt lag der wahre Grund für den Zusammenbruch in der Tatsache, dass eine kleine Gruppe von bankinternen und externen Personen mit fingierten Geschäften viel Geld zu Lasten der Herstatt-Bank in die eigene Tasche erwirtschaftet hatte. Hierfür benötigte man eine sogenannte Abbruchtaste, die es ermöglichte, Devisengeschäfte für die Bank unsichtbar zu machen und im Nachhinein zu manipulieren. Die teils fingierten Gewinne wurden dann über ein Bankhaus in der Schweiz, Econ Bank über Strohleute in bar ausgezahlt. Es ging um viele Millionen, innerhalb von wenigen Monaten. Damit die Entnahmen der Herstatt-Bank verborgen blieben, dehnte man den Devisenhandel enorm aus, und hoffte damit Gewinne zu erzielen, die die Verluste bei weitem übertrafen. Dieses „Riesenrad“, das erforderlich war, konnte man aber nicht mit den klaren Vorgaben zur Risikobeschränkung erreichen, die Iwan D. Herstatt und die Geschäftsführung aufgestellt hatten. Auch hierfür benötigte man die Abbruchtaste, die mit zwei Unterschriften von dem Leiter der Devisenabteilung (Dany Dattel) und seinem direkten Vorgesetzten (Heinz Hedderich, Leiter der Auslandsabteilung) bei Nixtorf in Auftrag gegeben wurde. Viele Devisengeschäfte blieben somit in der Schublade, nicht verbucht und bankintern unsichtbar. Im laufenden Tagesgeschäft war dies nicht zu erkennen. Trotz immer wieder aufkommender Gerüchte konnten weder die interne Revision noch die Wirtschaftsprüfer etwas finden, auch nicht die Abbruchtaste. Die vielen nicht verbuchten Geschäfte, der Zwang aufkommende Verluste durch nicht erwartete Dollarschwankungen für die Bank unsichtbar auszugleichen, führte zu einem Schneeballsystem, was spätestens am 10. Juni 1974, als Dany Dattel die Verluste der Geschäftsführung beichtete, völlig außer Kontrolle geraten war.

Untersuchungshaft

Als Iwan D. Herstatt 1976 unerwartet neben vielen weiteren Personen in Untersuchungshaft kam, fühlte er sich von dem Staatsanwalt hintergangen. In der Untersuchungshaft erlitt Iwan Herstatt einen Herzinfarkt, der nicht erkannt und entsprechend nicht behandelt wurde. Der Gesundheitszustand verschlechterte sich rapide, so dass er entlassen und das Verfahren gegen ihn eingestellt wurde. Sechs andere Angeklagte wurden teils freigesprochen oder erhielten milde Strafen, im schwersten Falle bis zu sieben Jahre Freiheitsstrafe. Dany Dattel wurde für haft – und verhandlungsunfähig erklärt, da er unter einem sogenannten KZ-Syndrom litt. Dany Dattel hatte als Vierjähriger gemeinsam mit seiner Mutter einige Monate im Konzentrationslager Auschwitz verbracht. Er konnte daher den Anblick von Uniformierten nicht mehr ertragen. Sein Anwalt, Erich Schmidt-Leichner, der bereits bei den Nürnberger Prozessen juristisch tätig gewesen war, überzeugte den Richter durch ausgesprochen bildhafte Darstellungen der Erlebnisse des kleinen Dany während seiner Zeit in Auschwitz. Dany Dattel wurde aus der Untersuchungshaft entlassen und die Verfahren gegen ihn eingestellt. Sein Vermögen blieb unangetastet.

Gerichtsverhandlungen

Dies setzte die Staatsanwaltschaft erheblich unter Druck und man konzentrierte sich auf den mit für die Auslandsabteilung und damit auch Devisenabteilung verantwortlichen Generalbevollmächtigten Graf von der Goltz und den Namensgeber Iwan Herstatt. Graf Goltz war nach langer Untersuchungshaft mürbe, zu irgendeinem Geständnis bereit und konnte nach kurzem Verfahren alles hinter sich lassen und zu seinen Verwandten nach Argentinien auswandern. Er überwand die Sache nie, fiel in tiefe Depressionen und verstarb früh.

Da Verjährung drohte, eröffnete ein Ehrenrichter im Krankenhaus Köln Merheim am Krankenbett von Iwan D. Herstatt das Verfahren neu und man verhandelte in Abwesenheit des Angeklagten.  Erst am Tag der Urteilsverkündung war Iwan Herstatt wieder gesundheitlich einigermaßen in der Lage, ins Gericht zu kommen. Da man ihn drängte, irgendetwas zuzugeben, um ihm ein milderes Urteil geben zu können, sagte er nach dem Schlussplädoyer des Staatsanwalts, man hätte ihm schon sein Vermögen, seine Gesundheit und die Ehre genommen. Die Selbstachtung wolle er sich aber von ihnen nicht nehmen lassen und er könne nur wegen eines milderen Urteils nicht etwas zugeben, was er nicht getan habe. Am 16. Februar 1984 wurde Iwan Herstatt vom Landgericht Köln zunächst zu viereinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Ihm wurden diverse Delikte wie Untreue, Bilanzfälschung und Beihilfe zu einem besonders schweren Bankrott vorgeworfen.

Rehabilitierung

Diese Vorwürfe konnte Iwan D. Herstatt nicht auf sich sitzen lassen. Trotz seiner schlechten Gesundheit bündelte er all seine Energie und arbeitete gemeinsam mit seinem Rechtsanwalt Helge Millinger aus Essen an seiner Rehabilitierung. Nach zwei Instanzen wurde 1987 die Strafe auf zwei Jahre Haft mit Bewährung verkürzt. Der Vorwurf der Bilanzfälschung blieb zunächst bestehen, weil man ihm nicht glaubte, nichts von den nicht verbuchten Devisentermingeschäften gewusst zu haben. Er hatte damit eine fehlerhafte Bilanz für das Jahr unterschrieben.  Staatsanwalt Wilms sagte, wenn in seiner Geldbörse ein DM 10 Schein fehlen würde, würde er es merken und er glaube nicht, dass Herr Herstatt Millionenbeträge nicht bemerken würde. Im Jahr 1991 wurde Herstatt schließlich für verhandlungsunfähig erklärt, und zwar wegen des seltenen Pickwick-Syndroms, das zu Konzentrationsstörungen und Ermüdungsanfällen führte, letztlich Folgen auf Grund des nicht behandelten Herzinfarktes in der Zeit seiner Untersuchungshaft. Trotz allem kämpfte sein Anwalt weiter um ihn.  Als schließlich der Europäische Gerichtshof das Landgericht Köln anwies, das Verfahren wieder aufzunehmen und auch der Gerling-Konzern ihm wieder eine kleine Rente auszahlte, sah er seine Unschuld bestätigt und konnte seinen Frieden finden.  Das Verfahren wurde wegen des schlechten Gesundheitszustandes nicht wieder neu aufgenommen. Iwan D. Herstatt verstarb am 9. Juni 1995. Mag der 9. Juni ein Zufall sein oder wollte Iwan D. Herstatt nicht noch einmal einen 10. Juni erleben, an dem sein Unheil begann, wir wissen es nicht.