Das neue Bankhaus Herstatt
Am 10. Dezember 1955 ging der Lebenstraum von Iwan David Herstatt in Erfüllung. Mit Hilfe von Investorengeldern (Bankier Eugen Neuvians aus München, Hans Gerling aus Köln (Versicherungen), Schweizer Großaktionär Emil Bührle und andere) wurde das neue Bankhaus I.D. Herstatt in Form einer KG a.A. ins Leben gerufen. Iwan D. Herstatt wurde hierbei alleiniger persönlich haftender Gesellschafter. Zur Gründung wurde das Bankhaus Hocker & Cie. gekauft, was durch den Tod des Inhabers auf dem Markt war, und entsprechend in I.D. Herstatt umbenannt. Da die Räume des Bankhauses Hocker viel zu klein waren, begab man sich sofort an einen Neubau in Köln, Unter Sachenhausen 6, der nach den modernsten Gesichtspunkten gestaltet wurde und im Mai 1957 mit bereits 70 Mitarbeitern bezogen werden konnte.

Emil Bührle starb Ende 1956. Hans Gerling übernahm die Anteile. Eugen Neuvians besuchte Herrn Gerling in Köln und wollte auch sein Aktienpaket aufstocken. Als Herr Gerling ihn warten ließ, kam es zwischen den beiden Herren zu einem heftigen Wortgefecht mit der Folge, dass Herr Gerling auch das Aktienpaket von Herrn Neuvians übernahm und nun mit mehr als 80% der Aktien eine dominierende Rolle einnahm. Iwan Herstatt hatte von Beginn an um die 5% der Aktien erworben.
Wachstum hin zum größten Privatbankhaus Deutschlands
Das Bankhaus entwickelte sich sukzessive zu einer Bank von überregionaler Bedeutung bis letztlich hin zum größten Privatbankhaus Deutschlands mit 850 Mitarbeitern. Neben dem Hauptsitz in Köln, einem weitverzweigten Filialnetz in Köln und Bonn, war man mit Tochtergesellschaften und Repräsentanzen in Frankfurt, Luxemburg, Toronto und London vertreten. Die Bilanzsumme wuchs kontinuierlich von anfänglich DM 5 Mio. in 1955 auf über DM 2 Mrd. in 1973.

Die Herstatt Bank war eine Universalbank und bot die gesamte Bandbreite an Bankgeschäften an. Iwan D. Herstatt hatte klare Vorstellungen, wie eine Privatbank zu führen sei und wie man sich gegenüber den anonymen Großbanken abzuheben habe. Jeder Kunde sollte, wenn möglich, schon bei Betreten des Bankhauses mit Namen begrüßt werden. Kundenschreiben sollten möglichst am selben Tag beantwortet, ebenso Rechnungen am Tag des Eintreffens bezahlt werden. Dem Kundenwunsch nach einem Besprechungstermin sollte kurzfristig entsprochen werden. Iwan Herstatt, der über ein phänomenales Zahlengedächtnis verfügte und die Kontonummern einiger hundert Kunden auswendig wusste, verblüffte die Kunden damit immer wieder und gab ihnen so das Gefühl, dass sie der Bank wichtig waren und eine erstklassige Betreuung erhielten. Iwan D. Herstatt war ein begnadeter Netzwerker und hatte erkannt, dass Vereine (Lions, Überseeclub, Sportclubs, Automobilclubs, Fördervereine für Kultur) und in Köln besonders die Karnevalsvereine ideale Möglichkeiten für hochkarätige Kundenakquise darstellten. Entsprechend war er in mehr als 30 Karnevalsgesellschaften und 20 weiteren Vereinen als Ehrenmitglied oder als Schatzmeister tätig. Hinzu kamen noch 19 Mandate in Aufsichtsräten und Beiräten namhafter Unternehmen. Iwan D. Herstatt wurde von 10 Direktoren und ebenso vielen Abteilungsdirektoren bei seiner Arbeit unterstützt. Neben Herrn Herstatt war ein weiterer persönlich haftender Gesellschafter vorgesehen, so dass man sich die Aufgabengebiete aufteilen konnte. Der erste, Heinrich von Pauker, starb zum großen Bedauern früh an einem Gehirntumor. Es folgte ihm Joachim-Hans von Hinckeldey, der nach einer heftigen Auseinandersetzung mit Großaktionär und Vorsitzendem des Aufsichtsrates Hans Gerling das Haus verließ. Als dritter Partner kam Bernhard Graf von der Goltz zunächst als Generalbevollmächtigter ins Unternehmen. Da er große Auslandserfahrungen hatte, wurde ihm die Verantwortung für die Auslandsabteilung und auch angeschlossene Devisenabteilung übertragen. Bei dem schnellen Wachstum der Bank wäre ein breit aufgestelltes Topmanagement sicherlich notwendig gewesen, was auch Iwan Herstatt stets befürwortete. Leider bekam er hierbei durch Hauptaktionär Hans Gerling kaum Unterstützung. Auffällig ist, dass die Partner von Herrn Herstatt immer adelig waren. Hierauf legte Herr Gerling großen Wert, was die Auswahl erheblich einschränkte.
Devisenhandel
1972 wurden im Rahmen von Bretton Woods die Währungsparitäten neu geordnet und der Dollarkurs freigegeben. Durch das sogenannte Floating eröffneten sich neue Möglichkeiten im Devisengeschäft und entsprechend wurde eine eigene Devisenabteilung aufgebaut. Zum einen bot man Kunden Kurssicherungsgeschäfte an, mit denen sie Risiken durch Kursschwankungen bei ihren internationalen Warenlieferungen ausgleichen konnten. Auch boten sich Eigengeschäfte an, bei denen man mit zwei abgestimmten Geschäften, einer Kauf – und einer Verkaufsorder (vom Zeitpunkt und Umfang passend) auf steigende oder fallende Kurse einer Währung spekuliert. Sobald man das Gegengeschäft abschließt, hat man einen Gewinn oder auch Verlust realisiert. Anfänglich konnte man mit diesen Geschäften verhältnismäßig sichere Gewinne einfahren, da beispielsweise der $ weit überbewertet war und ständig an Wert verlor. Auch kannten sich nur wenige Personen mit dem Thema gut aus, so dass man durch Knowhow-Vorsprung, guter technischer Ausrüstung und noch mit recht einfachen Mitteln die Richtung der Währungsentwicklungen erkennen konnte. Beispielsweise genügte ein Blick in die Handelsbilanzen der Länder und dort, wo sie negativ waren, konnte man mit fallenden Kursen rechnen. Heute ist dies nicht mehr so leicht möglich, da durch die Vernetzung und Einsatz von Millionen von Computern alles Wissen bereits in den Kursen eingepreist ist.
Die Leitung der Devisenabteilung übernahm Daniel (Dany) Dattel, der seit 1961 im Haus tätig war. Die Geschäftsführung gab feste Vorgaben (Höhe der offenen Positionen und Gesamtvolumen), wie weit die Bank ins Risiko gehen durfte. Die Herstatt-Bank nahm eine führende Rolle im Devisenhandel ein und viele Banken versuchten, den Leiter der Devisenabteilung abzuwerben. Das Jahr 1973 war für die meisten Banken ein verlustreiches Jahr, doch die Herstatt-Bank glänzte mit einem hervorragenden Jahresgewinn, was teilweise auf dem Engagement im Devisenhandel beruhte. Durch den umfangreichen Devisenhandel kamen immer wieder Gerüchte auf, doch die internen Analysen zeigten keine Auffälligkeiten. Weder die interne Revision noch beauftragte Wirtschaftsprüfer konnten etwas finden. Nur einmal tauchte per Zufall ein Schreiben von der Moskau Narodny Bank auf, das sich auf ein Devisengeschäft bezog, für die es intern keine Buchung gab. Iwan D. Herstatt wurde dies mit einem bedauerlichen Computerfehler erklärt. Iwan D. Herstatt vermerkte auf dem Schreiben „Riesenschweinerei, sofort nachbuchen“.